„Harmlos“ – eigentlich Antinous
Ende der Galeriestrasse zwischen Hofgarten, Finanzgarten und Englischem Garten
Künstler: Franz Jakob Schwanthaler
Kopie, Original im Residenzmuseum
Ein hübsches Bürscherl steht da auf seinem Postament. Sehr wenig trägt er am Leib – eigentlich nur ein über den Rücken geglittener Kurzmantel, dessen Band quer über den Oberkörper das Herabrutschen weniger aufzuhalten als zu betonen vermag. Und über der eindeutigen Definition der Männlichkeit kräuseln sich Blätter unerkennbarer botanischer Definition.
Klassisch elegant und gelassen sind die schmalen hochgewachsenen Beine zu Standbein und Spielbein gestaltet. Keine übertriebene Körperdrehung vermittelt Schnelligkeit oder Dynamik. Der junge glatte Körper wird von einem Jünglingskopf geradezu bekröhnt, dessen Gesichtszüge weiche Formen zeigen.
Alles ist hier auf Jugend, Ruhe und Idealisierung getrimmt. Die Haare liegen glatt an der Kopfkalotte an und enden in dicken Locken.
Der rechte Arm ist nach vorne gestreckt als Ausgleich zum linken Arm, der auf einer hinter dem Jüngling angebrachten „Tafel“ ruht. Ich setzte hier das Wort Tafel in Anführungszeichen denn eher möchte ich diese als ein scheinbar abgebrochenes Teil eines Architraves bezeichnen. Eine Ecke ist deutlich als abgebrochen gestaltet und der obere Abschluss dieses Steines erscheint als Stück eines Gebälkes.
Der Text, der auf diesem Friesstück eingraviert ist lautet: „HARMLOS WANDELT HIER DANN KEHRET NEU GESTAERKT ZU JEDER PFLICHT ZURÜK“
Das erste Wort dieser Inschrift hat der Figur Ihren Spitznamen gegeben. Harmlos – nicht im Sinne von ungefährlich, an gefährliche Bürger (Rowdies Wutbürger, Pöbler) wagte man in dieser Umgebung zu Beginn des 19. Jh nicht zu denken.
Zudem war die frisch erbaute Hofgartenkaserne mit bis zu 2000 Mann Belegung einen Steinwurf entfernt. (Nachfolgebauten dieser Kaserne waren das Armeemuseum und ist die heutige Staatskanzlei)
Nein, harmlos ist in diesem Falle als arglos zu interpretieren. Arglos als: einfach so ,neudeutsch: im Chillermodus. Denn der Besucher sollte nach dem Spaziergang gestärkt zur Pflicht zurückkehren. Erfrischt, erfüllt von Natur und ganz besonders von Dankbarkeit, denn der einfache Bürger durfte nun die ehemals höfische Anlagen betreten. 1803 wurde dieser Jüngling gemeißelt und auf sein Postament gestellt. Ein durchaus renommierter Münchenführer gibt Ludwig I. die Ehre sein Stifter und der Verfasser des Begleittextes zu sein. Dies wird von vielen „Münchenkennern“ im vollen Brustton der Überzeugung tradiert. Klar, alles was an griechisch, römisch oder klassisch auch nur entfernt erinnert wird dem Ludwig untergeschoben. Er war im Jahre 1803 erst ziebzehn Jahre alt und hatte sein Initiationserlebniss für die antike und antikisierende Kunst noch nicht durchlebt.
Aber der aufmerksame Betrachter sieht sogleich, dass die Inschrift des Sockels Anderes mitteilt: Seinen Mitbürgern gewidmet von Theodor Graf Morawitzky durch Franz Schwanthaler MDCCCIII.
Der hier genannte Stifter war Minister und Vizepräsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Graf Topor Morawitzky bezahlte dieses Denkmal im Sinne eines Entrées in den neuen Volksgarten. Dass man sich nun gerade die Darstellung des schönen griechischen Jünglings Antinoos wählte ist der so vollständigen Bewunderung der Antiken Kunst gegenüber geschuldet.
Der Englische Garten wurde am 1. Februar 1798 geboren, in einem Erlass tut Kurfürst Karl Theodor kund:
… in jeder Garnisonsstadt einen Militärgarten anlegen zu lassen, welcher nicht nur alleine zum Vorteil und Ergötzung des Militärs sondern auch zum allgemeinen Gebrauch als öffentlicher Spaziergang dienen soll…nahe der Stadt angelegt… und in einer luftigen, gesunden Gegend…“
Karl Theodor spürte durchaus das revolutionäre Gewitter das in Frankreich heraufzog – die Pfalz war ja seine Heimat gewesen bevor er in das ungeliebte Bayern musste.
Die Planung dieses Volksgartens verdanken wir dem Gartenarchitekten Ludwig von Sckell. Landwirtschaftliche Musterbeitriebe wie Schäferei, Schweizerei, Baumschule und Vieharzneischule sollten als Lehrbetriebe fungieren. Die Leitung der Musterbetriebe oblag dem Militär, die Anlage insgesamt war als großzügige Erweiterung des Hofgartens der Residenz gedacht.
Graf von Rumford steuerte als Leiter des kurfürstlichen Gartenwesens Ideen, Energie und die hypermoderne Wandlung in einen englischen Landschaftsgarten bei – mit Kunstwerken, Tempeln, Pagoden und holländischen Bauernhäuschen. Nicht Bier bot dem unruhigen Geist dort Erfrischung, Graf Rumford bevorzugte Eselsmilch. Nicht von ungefähr bezeichneten Mitglieder der kurfürstlichen Familie diesen Volksgarten als „Eselei“.
1792 wird von einem Hoffeste in der Nähe des Chinesischen Turmes berichtet, man kann somit annehmen, dass in diesem Jahr der Park soweit angelegt und „eingerichtet“ war, dass er als repräsentativer Rahmen für Feierlichkeiten und Empfänge dienen konnte. Die Bezeichnung wandelte sich von „Theodorpark“ zu „Englischer Garten“. Die „Chinesische Wirtschaft“ wurde am 1. April 1792 auf vier Jahre verpachtet, leider haben wir keine Speisekarte dieser Zeit.
Der Park war zwar der Öffentlichkeit zugänglich, die Arbeiten daran noch lange nicht abgeschlossen. Der Park sah 1795 die fürstliche Hochzeit von Karl Theodor und Großherzogin Maria Leopoldine aus dem Haus Habsburg, aber auch kriegerische Szenen im sog. Ersten Koalitionskrieg.
1799 wurde unter dem Nachfolger Graf Rumfords, dem General Reinhard Freiherr von Werneck die Erweiterung des Parks auf fast das Doppelte geplant und gen Norden in Szene gesetzt. Die heutige Ausdehnung auf eine Länge von fünf Kilometern und eine Fläche von 290 ha besteht seit dieser Zeit. Der neue Herrscher Max IV. Joseph und ganz besonders seine Gemahlin Karoline von Baden schätzten diesen Park ganz besonders.
1803 nun zum zehnjährigen Bestehen des Englischen Gartens stiftete Graf Topor Morawitzky dieses Denkmal.
Warum nun gerade Antinous als Schrifttafelhalter gewählt wurde erschließt sich nicht völlig. Die Historie berichtet, dass er aus Bithynien stammte. Der römische Kaiser Hadrian hatte ihn sehr fest ins Herz geschlossen und reiste in seiner Begleitung im Jahre 130 Nilaufwärts. Hadrian war völlig vernarrt in diesen schönen jungen Kerl – eine nicht ungewöhnliche Variante antiker Lebensführung. Bei dieser Reise war auch die kaiserliche Gemahlin Vivia Sabina dabei. Der Kaiser war in seinem Leben unendlich viel gereist, er war umfassend gebildet, hatte unermüdlich seine Kräfte eingesetzt für das riesige Reich. Ägypten liebte er und diese Reise auf dem heiligen Strom Nil sollte ihn zu den Mysterien des ältesten Landes seiner Welt führen.
Es geschah das für den Kaiser unfassbar Schreckliche, dieser Page verschwand eines Nachts in den Fluten des Nils. Ob gestoßen oder gerutscht oder von Göttern hinangezogen – es bleibt ein cold case der Geschichte. Hadrian in seiner Trauer ließ den Knaben Antinous vergöttern. Im ganzen Reich entstanden Skulpturen, die die Schönheit, den Liebreiz und Sinnlichkeit des Jünglings feierten. Häufig als Dionysos oder auch als Apoll. Auch wenn man nicht die kaiserlichen Wonnen teilt, ist mit der Gestalt des Antinous die Hinwendung von einem nicht mehr ganz jungen kinderlosen Kaiser zu einem schönen Jugendlichen bildhaft geworden. Ihn von Franz Schwanthaler schaffen zu lassen war eine gute Wahl.
Der Aufstellungsort ist immer an diesem Platz gewesen, nur die Umgebung hat sich verändert.
Antinous sollte den Weg weisen nach städtischer Umtriebigkeit, höfischer Residenz und militärischem Kommandoton hin zur erquickenden Natur. Zwar keine Wildnis, aber nach dem besten Gusto der Zeit möbliert mit Tempeln, Pagoden und Skulpturen. Aus dem Göttlichen Jüngling wurde ein Wegweiser!
Dass der Münchner an sich mit Dackel an der Leine und der Vorstellung eines erfrischenden Schlucks Bier mit einem „Antinous“ nicht soviel anfangen konnte sei unseren Vorfahren verziehen. Harmlos klingt einfacher und es steht ja auch drauf, denn lesen können wir.
Viel Freude beim genauen Betrachten!